Schauspiel

Theater & Religion

 
 

Predigt von Pastor Hans-Georg Meyer

Sonntag  20. Oktober 2024, 10.15 Uhr Luth. Kirchengemeinde St. Georg in Lübeck Genin

Liebe Gemeinde,

ein starkes Stück, »Jeeps«, das Stück von Nora Abdel-Maksoud, das das Lübecker Theater in dieser Spielzeit auf die Bühne gebracht hat, Premiere war im September.

Ein starkes Stück allerdings auch der Inhalt, eine Zumutung, eine Provokation sondergleichen, sie trifft uns im Mark unserer Wohlstandsgesellschaft, in der wir uns alle daran gewöhnt haben, dass es so läuft, wie es läuft.

Dass wir als Menschen so verschieden sind, das ist ja wunderbar, diese Vielfalt bewahrt vor Langeweile. Dass die Startbedingungen für jeden einzelnen von uns so unterschiedlich sind, das nehmen wir auch als selbstverständliches Schicksal hin. Und finden uns umso lieber damit ab, je günstiger die Bedingungen für uns selber sind. Und wir möchten das Wort »ungerecht« noch gar nicht in den Mund nehmen. Im Alltag, zu Hause, in größeren Familien spielt das noch eine Rolle, wenn alle Kinder auf ihre Kosten kommen wollen und sollen, da gibt es dann schon Beschwerden: Das ist aber ungerecht, wenn eine mal mehr kriegt, als die andere. Aber dann später, draußen, kommen wir nicht mehr auf die Idee, darauf zu achten, dass alle das gleiche bekommen. Die Forderung: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit wird inzwischen zwar selbstverständlich erhoben, ist aber bisher keineswegs flächendeckend umgesetzt, nicht mal in Deutschland, nicht mal in Lübeck und jemand, der das weltweit einfordern würde, wird für völlig weltfremd gehalten. Und nicht einmal seitens der öffentlichen Ämter ist eine Gleichbehandlung vorgesehen.

Und ja, wo wir jetzt schon bei den Ämtern sind, da sind wir mittendrin in unserem Stück »Jeeps«. Allerdings, so aktuell »Jeeps« thematisch im Blick auf die ungerechte Verteilung in Deutschland nach wie vor ist, ist das Stück etwas veraltet: Denn wo gibt es heute in Lübeck noch ein Amt, das man betreten kann, um eine Wartemarke zu ziehen. Ohne vorher einen digitalen Termin gemacht zu haben, kommt man heute nicht mehr durch die Eingangstür, geschweige denn ins Wartezimmer, und soweit ich höre, scheint sich das deutschlandweit durchzusetzen.

Doch das nur nebenbei. Die Grundidee in diesem Stück, allerdings auf das Materielle beschränkt,: Es reicht schon, dass wir mit unterschiedlichen Lebensbedingungen starten, (bei »Jeeps« ist die Rede von der »Eierstocklotterie«, wir denken an das Gleichnis von den anvertrauten Talenten bei Matthäus 25 und haben eine Vorstellung davon, wer die Rollen verteilt hat,) und, je nachdem was wir aus den anvertrauten Talenten machen, vergrößern wir diesen Unterschied. Die Ungleichheit muss aber nicht noch durch Erbmasse von Eltern oder anderen Anverwandten vergrößert werden. Anders, als mit der schon im gesellschaftlichen, im politischen Diskurs geäußerten Idee, dass aus der Erbmasse der Reichsten alle, oder alle 18-Jährigen ein gleich hohes Startkapital erhalten, wird bei »Jeeps« das Erbe verlost. Schicksal, Zufall, Fortuna oder Pech. Das Leben wäre doch langweilig, wenn es für alle gleich sein sollte und was ist das für ein wunderbarer Moment voller Hoffnung und Erwartung das Glückslos in der Hand zu halten, noch nicht wissend, was wunderbares uns damit zu teil wird, bevor dann u.U. die Enttäuschung kommt, weil das Traumlos nicht hält, was erhofft wurde. Und in diesem Fall kann es nicht nur eine Niete sein, sondern schlimmstenfalls ein Erblos mit Schulden. Und, wie das immer so ist, wo es etwas zu verteilen gibt, was für ein erhebendes Gefühl, in diesem Fall nicht Glücksfee, sondern Herr der Lostrommel zu sein. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, da kann kein Anwalt mehr etwas richten (auch nicht Dietmar) und bisschen Schmuh ist doch immer möglich. Jeder hat so seine »Lieblingsmenschen« aus Vorurteilen oder Erfahrungen und andererseits auch seine Schwächen. Und so erlebt man als Zuschauer sehr bald, wie aus einem Ansatz, der zu mehr Gerechtigkeit führen soll, neues Unrecht entsteht. Auch den Kindern arbeitsloser Eltern reicht ein Glückslos nicht zum Segen.

Dass die Männer Gabor und Armin als Sachbearbeiter hinterm Amtstresen sitzen und die Frauen Silke, als enterbte Erbin, und Maude, als Hartz 4 Betroffene, Bittstellerinnen vor dem Tresen sind, macht das Thema der Geschlechtergerechtigkeit präsent, wird sich im Laufe des Stückes aber auflösen, weil immer deutlicher wird, dass alles irgendwie doch ganz anders ist als es bei der ersten Begegnung scheint und manches entwickelt sich so überraschend, dass ich es für diejenigen, die das Stück noch nicht gesehen haben, jetzt auch nicht verraten möchte. Amtssprech ist nicht für jeden gut zu verstehen und lässt manchen resignieren, resignieren kann man auch als Mitarbeiter im Amt, von einem ehemals guten Hirten, der gleichgültig geworden ist, kann man nicht mehr viel erwarten.

Eines mag uns dabei aus mit-menschlicher Sicht enttäuschen: Alles Ringen um Recht und mehr Gerechtigkeit ist mit neuem Unrecht verbunden. Unter den vier Beteiligten gibt es nicht eine/n, die uns als Vorbild für einen Weg der Gerechtigkeit dienen könnte. Die Schwächen und Eigeninteressen sind so offensichtlich, dass wir auf diese Weise viel – leicht- er auf unsere eigenen Schwächen gestoßen werden, die uns hindern, etwas mehr für das zu tun, was unserer christlichen Überzeugung entspringt und die ersten christlichen Gemeinden geprägt hat, wie es in der Apostelgeschichte heißt:

»Alle, die ´an Jesus` glaubten, hielten fest zusammen und teilten alles miteinander, was sie besaßen. Sie verkauften sogar Grundstücke und sonstigen Besitz und verteilten den Erlös entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen an alle, die in Not waren. Einmütig und mit großer Treue kamen sie Tag für Tag im Tempel zusammen. Außerdem trafen sie sich täglich in ihren Häusern, um miteinander zu essen und das Mahl des Herrn zu feiern, und ihre Zusammenkünfte waren von überschwänglicher Freude und aufrichtiger Herzlichkeit geprägt.«

Natürlich können wir in Zweifel ziehen, ob das alles immer so einmütig war und wir können auch fragen, wie es denn weitergehen sollte, wenn alles verkauft und verteilt und verbraucht ist. Doch an der Grunderkenntnis kommen wir nicht vorbei, dass wir als Christen, dass wir als Menschen unsere Bereitschaft zum Teilen deutlich erhöhen müssen, um ein menschenwürdiges Leben für möglichst alle zu ermöglichen. Wir alle sind Begünstigte der Vorsehung, des Schicksals, der Eierstocklotterie, und was machen wir daraus?

Der reiche Jüngling geht nach dem Gespräch mit Jesus traurig davon, weil es ihm nicht gelingt über seinen Schatten zu springen und sich von seinen Ängsten zu lösen, mit denen er sich an seinen materiellen Besitz krallt.

Wie ist das mit uns?

Was sind unsere Statussymbole, die wir nicht aufgeben wollen und die wir kleinreden, weil wir nicht zugeben mögen, dass wir damit über unsere Verhältnisse leben: Klimagerechtigkeit ist auch eine Seite der Verteilungsgerechtigkeit oder sollen wir besser sagen: Teilhabegerechtigkeit. Wo tun sich für uns Grenzen auf, wo wir uns dem sinnvollen Teilen verweigern…?

Das ist das Schöne an dem Stück »Jeeps«, dass die Charaktere in ihrem Handeln und auch in ihrer Haltung so unwirklich, so unnormal, so fern von uns sind, dass wir nicht einen roten Kopf bekommen und uns schämen und denken, ja so sind wir auch…

Aber genau das hilft uns angesichts dieser unmöglichen Typen zu überlegen, was wir denn tun können und wollen, damit es besser wird, damit es etwas gerechter wird für die Menschen, mit denen wir leben in dieser Welt. Dass es so nicht weiter geht, sehen wir alle, dass Abgrenzung keine Lösung ist und bringt, wissen wir. Ob wir es erkennen können? Dass wir mehr tun können, als wir bisher getan haben, dass es manches gibt, was wir loslassen können, worauf wir verzichten könnten, weil es nicht unseren Selbstwert ausmacht und unser Leben nicht davon abhängt.

Manchmal werden wir auch zum Loslassen gezwungen. Hoffentlich nicht so explosiv, wie im Theaterstück »Jeeps«.