Schauspiel
Der Wiener Arzt und Erzähler Arthur Schnitzler teilte eine Gemeinsamkeit mit seinem Brieffreund, dem Psychoanalytiker Siegmund Freund – er interessierte sich leidenschaftlich für die Windungen und Abgründe der menschlichen Seele. In der 1924 erschienenen Novelle »Fräulein Else« setzt er seine Titelheldin einem schier unlösbaren seelischen Konflikt aus:
Die neunzehnjährige Else verbringt ihre Ferien in einem italienischen Kurort, als ihr ein Eilbrief ihrer Mutter überreicht wird. Die Familie steht vor dem Bankrott, da der Vater Gelder unterschlagen und verspekuliert hat, es droht ein gewaltiger Skandal. Die Mutter fleht nun ihre Tochter an, sich das Geld von einem vor Ort weilenden Kunsthändler zu leihen, einem alten Geschäftsfreund des Vaters. Von Dorsay erklärt sich dazu bereit, knüpft an die Zahlung allerdings die Bedingung, dass Else sich vor ihm auszieht und ihm ihre Nacktheit präsentiert. Else ist zutiefst schockiert und entsetzt, aber steht nun vor einer unmöglichen Wahl – sich dem Vater zuliebe erniedrigen oder aber ihre Selbstachtung wahren und ihn damit zur Haftstrafe verurteilen.
Es ist schon verblüffend: Fast 100 Jahre nach seinem Erscheinen stellt »Fräulein Else« Fragen, die akuter denn je sind: Wie gehen wir mit Moral, Macht und Verantwortung um? Was sind meine Werte, was sind die Konsequenzen meines Tuns? Wie definiere ich meine Identität, gerade in Zeiten omnipräsenter Social Media-Plattformen? Habe ich überhaupt noch die Kontrolle über mein Abbild, meinen Körper?